15 November 2006

Jetzt geht die Rechnerei los...

Seit Anfang Oktober ist eine Lehrverpflichtungsverordnung des Landes Hessen in Kraft: http://www.uni-marburg.de/administration/recht
Wissenschaftliche Mitarbeiter, selbst solche auf Halbtagsstellen, d.h. etwa Doktoranden mit 'lediglich' Diplom- oder Magisterabschluss und zudem ggf. ohne jedwede didaktische Ausbildung oder Erfahrung, scheinen nun per Verordnung zur Lehre befähigt zu sein und (eigenverantwortliche) Lehre anbieten zu müssen. Damit wird unseres Erachtens auch § 77 des Hessischen Hochschulgesetzes ("Nichtamtliche Neufassung" vom 20. Dezember 2004 (GVBl. I S. 466)), auf den unsere Arbeitsverträge verweisen, in wenigstens fragwürdiger Weise ausgelegt:
(1) Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erbringen wissenschaftliche Dienstleistungen zur [sic! nicht "in"] Organisation, Vorbereitung und Durchführung von Forschung und Lehre, in der Betreuung wissenschaftlicher Sammlungen und Geräte und im Betrieb wissenschaftlicher und der Krankenversorgung dienender Einrichtungen. Zu den wissenschaftlichen Dienstleistungen gehört auch, Studierenden Fachwissen und praktische Fertigkeiten zu vermitteln und sie in der Anwendung wissenschaftlicher Methoden zu unterweisen, soweit dies zur Gewährleistung des erforderlichen Lehrangebots notwendig ist. Die Übertragung von Vorlesungen, Seminaren, Übungen und anderen Lehraufgaben, wie sie von Mitgliedern der Professorengruppe wahrgenommen werden, bedarf eines Lehrauftrags. [kursiv durch W.W.]
Formeln wie 'Qualitätssicherung für die Lehre' werden durch die Umsetzung der Verordnung (endgültig) zur Farce.

Die Leitung der Philipps-Universität besteht nichtsdestotrotz darauf, wie eine Anfrage des Instituts für Philosophie bei der Rechtsabteilung ergab. In der Antwort heißt es dann:
Nach allem und unter dem Vorbehalt, dass mir die einschlägigen Unterlagen vorliegen, verletzen die Mitarbeiter Warnecke, Thun und Schepelmann ihre Dienstpflichten, wenn sie sich nicht in dem oben beschriebenen Umfang an der Lehre beteiligen.
Dass wir bislang freiwillig ein Vielfaches der nun eingeforderten Lehre übernommen haben, wird ebenfalls ignoriert. Auf unsere unentgeltliche, freiwillige Mit- bzw. Mehrarbeit verlassen sich Hochschulleitung bzw. Land in geradezu unverschämter Weise, zudem sehen wir uns mit öffentlichen Schmähungen konfrontiert: So verweist das Universitätspräsidium - damit selbst bei Berücksichtigung der oben genannten Verordnung die eigene Unwissenheit unter Beweis stellend - auf "umfangreiche schlafende Kapazitäten" an unserem Institut. Der offiziellen Anfrage der Fach- und Statusgruppenvertretung am Fachbereich um ein Gespräch mit dem Präsidium wird nicht einmal mit einer Absage gewürdigt. Hingegen gibt einer der Vizepräsidenten in einem Rundfunkinterview (vgl. http://www.uni-marburg.de/fb03/philosophie/aktuelles/news/lehrausfallinfo) zum Besten: "Ich könnte mir den Spaß machen und jetzt auf die Bezahlung von Sokrates hinweisen, dem es um die Sache selber ging." Er lässt damit ein recht interessantes Bild der Hochschulfinanzierung anklingen - sollte aber vielleicht auch berücksichtigen, dass gerade Sokrates sich das Philosophieren nur leisten konnte, da er eine umfangreiche Erbschaft angetreten hatte und außerdem der Anerkennung, gar Hochachtung seiner Gesellschaft sicher sein durfte.